Wann sollten Patienten über einen Gelenkersatz für Knie oder Hüfte nachdenken?
Ein Ersatz kommt für Patienten in Frage, die seit Monaten starke Schmerzen haben und deren Lebensqualität deutlich darunter leidet. Eine Röntgenaufnahme sollte bestätigt haben, dass eine Arthrose, also ein krankhafter Gelenkverschleiß, der Grund für diese Schmerzen ist. Außerdem sollte man zuvor alle konservativen Behandlungsverfahren ausgeschöpft haben.

Dr. Johannes Schenkel ist ärztlicher Leiter der unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Die Organisation berät Patienten und Verbraucher in medizinischen Fragen, unabhängig davon, ob diese privat oder gesetzlich krankenversichert sind.
Wie sieht eine konservative Behandlung bei Gelenkbeschwerden aus?
Die Beschwerden lindern kann eine Bewegungstherapie mit Kräftigungs- und Dehnungsübungen, die man am besten unter Anleitung lernt. Sanfte Sportarten wie Radfahren oder Schwimmen können helfen, den Körper zu stärken und die Gelenke zu entlasten. Bei Knieproblemen kann auch eine leichte Gewichtsreduktion helfen, die aber gerade älteren Patienten meist schwerfällt. Wirksam ist auch die Therapie mit Schmerzmitteln – die oft noch stärker ausgeschöpft werden könnte.
Gibt es auch alternative Heilverfahren bei Arthrose?
Auf dem Markt gibt es eine ganze Palette – von Nahrungsergänzungsmitteln mit Glucosaminen über Teufelskrallenextrakt bis zur Homöopathie. Wissenschaftlich betrachtet bringt das alles nichts, außer demjenigen, der es verkauft. Das gilt auch für Behandlungen mit Mikrowellen oder gar Blutegeln, die ebenfalls angeboten werden.
Viele Ärzte bieten als Selbstzahlerleistung die Behandlung von Gelenken mit Hyaluronsäure oder Cortison an.
Hyaluronsäure ins Gelenk einzuspritzen ist wissenschaftlich ebenfalls sehr umstritten und kaum besser wirksam als eine Behandlung mit Kochsalzlösung. Bei Cortison kann das sogar schädlich sein und unangenehme Nebenwirkungen haben.
Ob eine Operation sinnvoll ist, hängt nicht nur von der medizinischen Diagnose ab. Ein Eingriff bleibt eine sehr persönliche Entscheidung.
Angenommen, dass nichts anderes mehr hilft – welche Risiken birgt eine Operation?
Es gibt sicher viele Patienten, die von einer Gelenkprothese profitieren, etwa 90 Prozent geht es nach dem Eingriff deutlich besser. Andererseits gibt es keine Erfolgsgarantie: Bei etwa 10 Prozent hilft der Eingriff nicht, manchen geht es danach sogar schlechter. Dazu kommen die üblichen Risiken einer großen Operation durch die Narkose, mögliche Blutungen oder Infektionen.
Wie lange dauert es, bis ich danach wieder in Form bin?
Das ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Nach etwa einer Woche Krankenhaus schließt sich der Aufenthalt in einer Rehaklinik von meist mehreren Wochen an. Später kann man Rehamaßnahmen auch von zu Hause aus fortführen.
Immer wieder hört man von fehlerhaften Prothesen, weil es an Qualitätskontrollen mangelt ...
Man kann in diesem Bereich sehr leicht etwas Neues auf den Markt bringen, ohne dass es langfristig getestet wurde. Ich empfehle Patienten daher, vorab bei ihrem Arzt nachzufragen, welche Erfahrungswerte und Langzeitstudien es zu einer Prothese gibt. Es muss nicht immer das neueste Modell sein, sondern am besten eines, das schon länger erfolgreich erprobt ist.
Angeblich wird bei Knie- oder Hüftproblemen zu oft operiert. Wie kann ich mich als Patient davor schützen, zu schnell unter das Messer gelegt zu werden?
Internationale Studien deuten tatsächlich darauf hin, dass zu häufig Prothesen eingesetzt werden. Wir empfehlen Patienten, die unsicher sind, einen zweiten Arzt aufzusuchen. Dafür sollten Sie sich Röntgen- und MRT-Aufnahmen vom ersten Arzt aushändigen lassen, damit diese nicht unnötig doppelt gemacht werden.
Manch einem ist es vielleicht unangenehm, das Urteil seines Arztes so in Frage zu stellen ...
Das sollte es aber nicht sein. Als Mediziner muss man professionell damit umgehen können. Wenn der behandelnde Arzt eingeschnappt reagiert, bestätigt das nur, dass es eine gute Entscheidung war, sich eine zweite Meinung einzuholen.
Und wenn ein Arzt für die Operation ist und ein anderer nicht?
Auch hier rate ich zur Offenheit: Sprechen Sie mit dem Arzt, dem Sie tendenziell mehr vertrauen, über mögliche Einwände seines Kollegen. Auch wir als unabhängige Patientenberatung können Sie bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Ob eine Operation sinnvoll ist, hängt jedenfalls nicht nur von der medizinischen Diagnose ab.
Wovon denn noch?
Zum Beispiel vom Alter: Je jünger ein Patient noch ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Prothese im höheren Alter noch einmal ausgewechselt werden muss. Man versucht dann eher, mit einer Operation abzuwarten und konservativ zu behandeln. Und es kommt auf den Lebensstil an: Dem einen ist es besonders wichtig, mit einem künstlichen Gelenk mobil zu bleiben. Jemand, der weniger aktiv ist, kommt vielleicht besser mit einer Einschränkung zurecht und verzichtet auf einen Eingriff. Letztendlich bleibt es eine sehr persönliche Entscheidung.
Wenn ich mich nicht entscheiden kann – kann es irgendwann zu spät für einen Gelenkersatz sein?
Je besser ich vor einer Operation noch in Form bin, desto schneller und besser werde ich mich wahrscheinlich davon erholen. Trotzdem hat jeder das Recht, sich gegen einen solchen Eingriff zu entscheiden. Man sollte das Ganze aber nicht zu lange verdrängen, sondern sich zumindest einmal ehrlich damit auseinandersetzt haben.
Wenn ich mich für eine Operation entscheide: Wie finde ich eine gute Klinik für den Eingriff?
Ein gutes Suchinstrument ist die „Weiße Liste“ im Internet, dort sind neutrale Informationen zu Ärzten und Krankenhäusern patientengerecht aufbereitet. Sie können dort nachschauen, wie viel Erfahrung ein Krankenhaus mit Knie- oder Hüftoperationen hat. Außerdem gibt es die Zertifizierung „EndoCert“. Spezialisierte Zentren können diese erwerben, wenn sie bestimmte Qualitätsstandards bei Gelenkoperationen erfüllen.
Interview: Irene Habich
In Deutschland werden einer Studie zufolge immer mehr künstliche Kniegelenke eingesetzt – auch bei Patienten unter 60 Jahren. Zwischen 2013 und 2016 nahm die Zahl der Operationen um gut 18 Prozent auf 169 000 Fälle zu, wie die Bertelsmann-Stiftung im Juni 2018 mitteilte. Die Zahlen hat die Fachredaktion Science Media Center (SMC) in Köln aus Daten des Statistischen Bundesamts errechnet.
„Erklärbar ist dieser Trend weder durch medizinische noch durch demografische oder geografische Einflussfaktoren“, hieß es. Unter den Patienten, denen eine Kniegelenk-Prothese eingesetzt wurde, waren 2016 rund 33 000 Menschen jünger als 60 Jahre. Ein Zuwachs von 23 Prozent im Vergleich zu 2013 – und um 31 Prozent gemessen an 2009.
Vom Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) hieß es dazu, maßgebend sei der Wunsch des Patienten, der zunehmend anspruchsvoll sei und Fortschritt profitieren wolle. Brigitte Mohn vom Bertelsmann-Stiftungsvorstand kritisierte, vor allem der Blick auf die noch jüngeren Patienten werfe die Frage auf, „ob die Operationen wirklich medizinisch indiziert sind“.